"...Was in der Dunkelheit verborgen ist, ist mir genauso wichtig
als das, was im Licht offenbart wird.“
Bill Holderfields Bilder haben etwas leicht Beunruhigendes an sich. Ein Gefühl des Unbehagens. Oberflächlich betrachtet sind es ganz gewöhnliche Szenen: eine sandgesäumte Wüstenstraße, ein in Neonlicht getauchtes Motel am Straßenrand, die holzgetäfelte Fassade eines typischen Hauses im Mittleren Westen.
Dennoch ist jedes Bild von Spannung durchdrungen. Wir haben das Gefühl, mitten im Bild in eine Geschichte einzutreten, gefangen in der Stille, kurz bevor sich die nächste Szene entfaltet. Es ist dieses subtile Gespür für die Erzählung, das Holderfields Werken ihre Spannung verleiht.
Bei der Recherche zu seinem Werk stieß ich auf einen Artikel, in dem Holderfield auf ein Zitat des legendären amerikanischen Musikers Tom Waits verwies: „Ich mag schöne Melodien, die mir schreckliche Dinge erzählen“, Er bemerkte, dass es seine eigene Herangehensweise an die Fotografie perfekt widerspiegelt. Das ist bezeichnend. Seine Bilder sind auffallend schön, so wie große Fotografen das Vertraute in etwas visuell Faszinierendes verwandeln können.
Doch Holderfield fängt nicht einfach nur ein, was vor ihm liegt; er steigert die Atmosphäre und dehnt die Stille so weit aus, dass sie sich leicht merkwürdig anfühlt. Ein Motelschild flackert etwas zu schwach. Vor uns verschwindet die Straße in der Dunkelheit. Selbst am helllichten Tag fühlt sich etwas merkwürdig an, als würde sich etwas entfalten.
Sein Weg zur Fotografie war geprägt von persönlichen Verlusten. Jahrelang hatte er sich mit dem Medium beschäftigt, doch erst der Tod einer engen Freundin – selbst Fotografin und Professorin für Fotografiegeschichte – brachte ihn dazu, sich ernsthaft damit zu beschäftigen. Die Kamera in die Hand zu nehmen, war für ihn sowohl eine Möglichkeit, damit umzugehen, als auch „ihren Glauben an ihn als Künstler zu ehren“.
Viele seiner Werke zeigen industrielle oder postindustrielle Umgebungen – Orte, die ihm am Herzen liegen. Holderfield wuchs in Cleveland auf und spricht mit einer gewissen grimmigen Zuneigung von der Stadt: „Ich erinnere mich an die riesigen grünen Flammen der Stahlwerke, Gebrauchtwagenplätze, Stromleitungen, die sich wie riesige schwarze Spinnweben verhedderten, Bowlingbahnen, Lebensmittelläden, verlassenen Gebäude …“
Doch es sind nicht nur ästhetische Themen; sie haben sich tief in seine Psyche eingeprägt. „Ich verstehe sie. Ich fühle mich ihnen tief verbunden“, sagt er. Diese Verbindung ist in seinen Werken deutlich zu erkennen. Die Landschaften wirken wie Elegien auf ein verblassendes Amerika. Was war und was bleibt. Ein rostendes, industrielles Kernland, das leise in den Schatten gleitet.
Das Gefühl für die Atmosphäre seiner Arbeit wird durch seine Vorliebe für Nachtaufnahmen verstärkt.“Nachts“ er sagt, „Die Welt verlangsamt sich. Die Szenen wirken erzählerisch offen.“ Die Dunkelheit wirkt wie ein Schleier, ein leiser Verstärker. Sie verhüllt und isoliert. Sie verwandelt das Vertraute in etwas Aufgeladenes und Filmisches. Er lädt uns ein, nicht nur zuzuschauen, sondern zu staunen.
„Ich kann nachts klarer denken und fühlen. Die Welt offenbart sich in isolierten Vignetten, Bühnenstücken, die erzählen stories ohne Ablenkungen.
Was in der Dunkelheit verborgen ist, ist mir genauso wichtig wie das, was im Licht offenbart wird.“
Menschliche Motive, sofern sie überhaupt erscheinen, werden auf Distanz gehalten, als Silhouetten, Teilfiguren, Schatten, die ins Bild geraten. Ihre Anonymität verstärkt die Spannung. Wer sind sie? Was machen sie hier? Die Leere gibt dem Betrachter Raum, seine eigene Geschichte zu konstruieren. Wir werden weniger zu Beobachtern, sondern eher zu Teilnehmern, gefangen in der Stille, unruhig wartend auf das, was als Nächstes kommt.
Das Ganze hat eine ausgesprochen lynchartige Qualität und es ist keine Überraschung, dass Holderfield den legendären Filmemacher und Künstler – sowie seinen langjährigen musikalischen Partner Angelo Badalamenti – als Einflüsse nennt.
Wie Lynchs ikonische Werke pulsieren Holderfields Fotografien von surrealer Intensität. Die langsam brennende, hypnotische Qualität von Badalamentis Kompositionen verstärkt diese Atmosphäre in Lynchs Filmen – eine Stimmung, die Holderfield in seinen Bildern hervorruft.
Er nennt auch Fotografen wie Robert Adams (insbesondere seine Nachtaufnahmen) und Todd Hido als bedeutende Einflüsse. Und obwohl sich ihre Themen von seinen eigenen unterscheiden, nennt er auch Vivian Maier für ihren unheimlichen Blick und ihre kompositorische Eleganz, Diane Arbus für ihre Fähigkeit, „die Seele unter der Oberfläche“ einzufangen, und Sally Mann für ihre Bilder, die, wie Holderfield es ausdrückt, „schlägt eine Brücke zwischen der materiellen und der spirituellen Welt auf eine Weise, die ihresgleichen sucht.“
Was all diese Künstler gemeinsam haben – und Holderfield auch – ist die Überzeugung, dass es in der Fotografie nicht nur um das Gezeigte geht, sondern um das, was es hervorruft. Das bringt uns zurück zu seinem einleitenden Zitat: Was im Dunkeln verborgen ist, was wir uns vorstellen, kann genauso kraftvoll sein wie das, was im Licht dargestellt wird. Holderfields Arbeiten leben vom Raum zwischen dem Sichtbaren und dem Gefühlten und bieten dem Betrachter die Möglichkeit, seine eigene Geschichte zu erschaffen.
Alle Bilder © Bill Holderfield